Naturcampen

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Nein. Ich wollte nicht an den „Briesensee“. Zu H., dem selbsternannten Stiefonkel, der seit 15 Jahren jede Familienfeier mit Sprüchen unterhalb der Gürtellinie unterhielt und FKK zu seinen Hobbies zählte. Zu den nackt grillenden, Birnenschnaps trinkenden Ossis, die sich über die Jahre zu einer dauerlustigen und -alkoholisierten Dauercamping-Gemeinschaft eingeschworen hatten. Zu ihren sonnenstichroten, aufgedunsenen Gesichtern und schwitzenden Körpern, die auf Plastikstühlen fläzten, oh nein. Der Briesensee war für mich der Inbegriff einer Welt voller Peinlichkeiten und Pseudo-Witz. Keine 10 Pferde hätten mich dorthin bewegt. Meine Ma auch nicht. Was hatten wir die Nasen gerümpft! Wir, die „Wessis“, die zwar Anschluss suchten, aber „doch nicht so“. Meine Mutter, die Frau, die in den 70ern und 80ern auf Kreuzfahrten in der Südsee unterwegs war und keine Kleidung von der Stange trug. Die 15 Jahre in Dresden ohne Anschluss lebte und uns jegliche Anwandlung von sächsischem Dialekt austrieb. Die mit hochgezogenen Augenbrauen und spitzer Zunge die Sprüche von H. kommentierte. Doch dann lernte meine Mutter I. kennen. I., der seefahrende Superossi mit dem Haar, dass sich nicht bändigen liess. Und mit I. kam der wilde Osten nah, sehr nah.

H. sagte zu seinem Bruder: „Da wird ein Wohnwagen frei“. Meine Ma sagte: „Nein, auf gar keinen Fall. Nicht in diesem Leben.“ Irgendwann sagte sie ja.

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Wir sitzen im Regionalzug nach Lübben. Ein Déja Vu. Graukappige Rentner in funktionaler Outdoor-Bekleidung, „fetzische Sprüche“, Sachsenlocken. 55 Minuten sind es nur von Berlin zum Briesensee. Ich versuche mich seelisch und moralisch einzustimmen. „Nur ein Abend, eine kurze Nacht.“ Ich klammere mich an die gute Stimme in mir, sie flüstert: „Deine Ma freut sich.“ Am Bahnsteig meine Ma, rotgesichtig, aber glücklich. 30 Minuten dauert die Fahrt zum Camp. Wir biegen in einen Forstweg ein. Waldkiefern, viele davon, rötlich schimmern die Stämme, dahinter schimmert das Blau. Der Wagen hält. Jetzt sind es junge Birken. Dazwischen eine Handvoll Wohnwagen. Sie sehen aus, als wären sie schon immer hier gewesen. Mit dem Wald verbunden. Kein concrete, keine Parzellen, nicht mal eine Rezeption. Helle Segel, die zwischen den Birken eingespannt sind, Wind, der sich leise rauschend in sie hineinlegt. An den Wohnwagen bunte Lichterketten, Windlichter, die leise auf dem Waldboden flackern. An den Bäumen lehnend Fahrräder, unabgeschlossen. Keine 5 Meter entfernt ein schlafender See, von Schilf gesäumt. Einige Holzboote, die am Ufer ruhen. Aus dem Birkenwald kommend goldfarbenes Fell, das sich schüttelnd und wedelnd vor Freude auf mich zubewegt. Unsere „Bella“, mit glitzernden Augen.

Ich sitze unter dem Segel und lausche der Stille des Sees. Im Hintergrund brutzeln leise die Grillsteaks. Meine Ma wirkt glücklich. Irgendwann stößt H. dazu, in Kleidung. Wir trinken Sekt und tauschen einige wohlwollende Sprüche aus. Wir lachen.  In meinem Kopf lösen sich alte Bilder, sickern in den Boden. Oben sind die Sterne über uns. Und ein strahlender Mond.

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13 Gedanken zu „Naturcampen

  1. Mika sagt:

    Schön der See. Mit Boot. Einladend.
    Und schön, dass so maches frühes Bild in den Boden sickern durfte. Wenn wir selber gestalten können, müssen wir nicht das olle Zeugs nehmen. 😉
    Das Hundchen hat sich wohl müde geschwommen? Süß. Muß auch für ihn ein Paradies sein. 🙂

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    • pillangoblog sagt:

      Oh ja, das Boot. Leider war zuwenig Zeit, um auf ihm über den See zu schwimmen. Das nächste Mal…das wird es nun ganz sicher geben. Neu Entdecken und Gestalten macht einfach mehr Spaß als an Vorurteilen festzuhalten.
      Der Hund, ich glaube, es gibt keinen schöneren Ort für sie. Drei bis Viermal am Tag im Natursee baden. Keine begrenzenden vier Wände… Danke fürs Lesen, Schauen und Kommentieren liebe Mika.

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  2. Ach, das klingt einfach sehr gut. Schön!
    Und die Hündin wird beneidet vom gesamten

    haushundhirsch!

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  3. scarlett sagt:

    Das liest sich wundervoll. Auch ich beneide die Hündin.

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  4. mercfalk sagt:

    Sehr schön und sehr ehrlich.
    Es freut mich etwas in toller Sprache und Form zu lesen, das ich selbst kenne bzw. das viele wohl selbst kennen. Die negativen Bilder, die manchmal in den Boden sickern, während man zufrieden in den Sternenhimmel schauen kann. Ein tolles Bild!

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  5. laurazeitlos sagt:

    Ein gelungener Beitrag..mit allem drum und dran! Dankeschön!
    LG,Laura

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  6. Sofasophia sagt:

    schön geschrieben, mit der ganzen alten erinnerung, die sich ja dann zum glück „aufgelöst“ hat … hach, was gibts schöneres als see in solchen tagen. kühles wasser.
    herzlich, soso

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  7. pillangoblog sagt:

    Danke, freu mich über dein Feedback! Ach, was habe ich dieses kühle Blau vermisst in den letzten Sonnentagen in der Stadt. 36 Grad sind einfach zuviel des Guten…

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  8. hellboy2503 sagt:

    Schöne Fotos – gefallen mir

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