Dazwischen. Berlin – Mumbai.

Ich sitze im Flieger zwischen zwei schlafenden Indern. Acht Stunden dauert der Flug. Acht Stunden lang keine Bewegung, weder von rechts noch von links. Inder scheinen ihren Körper in eine Art Flugmodus umschalten zu können, völlige Regungs- und Bedürfnislosigkeit. Ich kann das nicht. Alle zwei Stunden drücke ich auf den Bildschirm-Button „Lufthansa Fly and Relax“ und folge den Übungsanleitungen des virtuellen Avatars. Lasse meine Füsse, Hände und Schultern kreisen und drücke meinen „Abdomen against the seat“. Ich bin mir selbst wahnsinnig peinlich und froh darüber, dass meine Sitz-Nachbarn Inder sind und sich nicht durch meine Verrenkungen in ihrer Schlafstarre stören lassen. Immer wieder steige ich auf Sitzlehnen über atmende Körper hinweg und flüchte mich in den Gang um auf ihm auf und ab zu laufen. Dann nach hinten zu den Stewards, um Wasser, Wein und Saft zu trinken, wieder in den Gang, um meine Mitreisenden zu beobachten. Bunte Saris, die über Lehnen und auf Boden fließen, aufgeknöpfte Hemden, hängende Bäuche, einige tränennasse Kindergesichter, viele Fernsehaugen. Keine junge Frau Anfang Dreißig, die aussieht, als würde sie in den nächsten vier Wochen in einem Ashram Yoga machen. Wieder denke ich daran, dass das auch kein Wunder ist. Juli, die denkbar schlechteste Jahreszeit, um nach Indien zu reisen. Juli = Monsun = nasse Füsse. Wieder ärgere ich mich über meine Ungeduld, die man auch in Spontanität übersetzen kann, wenn man es gut mit sich meint. Wieder überzeuge ich mich selbst, dass meine Entscheidung richtig war und diese Reise eine ganz „besondere Erfahrung“ wird. Was auch immer das heißt.

Acht Stunden später landen wir in Mumbai. Es ist Mitternacht und meine Sitznachbarn lösen ihre Gurte und bewegen sich so unaufgeregt und geschmeidig, als hätten sie die Ringbahn vom Ostkreuz zum Hauptbahnhof genommen. Ich bewege mich gar nicht. Ich warte ab und bin ganz still.
Getaggt mit , , , , , , , ,

10 Gedanken zu „Dazwischen. Berlin – Mumbai.

  1. Mika sagt:

    Du lieber Himmel. Und ich motze schon, wenn ich drei Stunden steif und starr in einem Zug sitzen muss, in dem man unweigerlich seiner Nachbarn Knie mit den seinen berührt…

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  2. Mika sagt:

    Nun ja, immerhin hatte ich dann Kinderkino, als es mir zu bunt wurde. 😉

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  3. Sherry sagt:

    Still zu sitzen ist eine große Herausforderung für mich, auch schon bei kurzen Flügen. Das sind dann immer die Situationen, in denen ich mein ADHS nicht mehr verleugnen kann und wo es für mich quälend werden kann. Aber nur, wenn ich keine Position finde, in der ich mich entspannen kann, wobei ich das in Flugzeugen nie kann, weil ich aufgeregt bin. Alle Achtung, dass du das ausgehalten hast – wobei: Hattest du überhaupt eine andere Wahl? *lach*

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    • pillangoblog sagt:

      Was bedeutet das, ADHS? Ist es die Geschichte mit der Aufmerksamkeit? Ich dachte, die gibt es nur bei Kindern?
      Ja, Stillsitzen ist für uns alle wohl die größte Herausforderung, der ständige Bewegungsdrang, wie ich ihn oft verspüre, kann auch eine Art Fluchtreaktion sein vor dem, was wirklich ist. (So habe ich von einem Yogalehrer erfahren.) Im Flugzeug habe ich es selbst nicht wirklich ausgehalten und bin ein paarmal auf den Gang geflüchtet… 😉

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  4. Sofasophia sagt:

    hm, obwohl ich wohl auch eher ein mensch bin, der sich gerne bewegt, kann ich zuweilen in unangenehmen momenten einfach erstarren. bei meinem rückflug von hamburg (lach, eine stunde nach zürich!) war ich am fenster, neben mir zwei ziemlich verladene, halb pennende, breitbeinig sitzende rastamen. über die musste ich steigen zum pinkeln, denn das musste ich einfach. danach: ich erstarrte hinter meinem buch.

    acht stunden sind ganz schön lang. mein längster flug (spanien-brasilien) war wohl ähnlich, aber da war ich noch jünger als du und ertrug so sachen viel leichter als heute … grmpf.

    dein text spiegelt sowohl deine stimmung als die atmosphäre im flugzeug. ich finde ihn sehr gut geschrieben!!! der schlusssatz gefällt mir ganz besonders.

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    • pillangoblog sagt:

      Soso, was um alles in der Welt sind denn Rastamen? Das klingt ja furchtbar! Gottseidank war es „nur“ ein Stunde, so ein Buch kann wirklich Leben retten. (Ich lese gerade Liebesgeschichten von Nicolas Barreau – Das Lächeln der Frauen, mindestens so schön wie Anna Gavalda, finde ich, man verliert sich darin tatsächlich mit einem Lächeln).

      8 Stunden Sitzen sind lang. Aber irgendwie auch schön, vor so einer Reise zum Stillstand angehalten zu werden. Wenn man sich darauf einlässt, lässt es sich so bestimmt gut einstimmen auf das was da kommt.

      Vielen Dank Soso für das schöne Feedback.

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  5. Sofasophia sagt:

    rastamen? männer mit rasta – wobei mir das ja nicht mal so schlecht gefällt, solange dem seine läuse nicht auf meinen kopf springen … 🙂
    gavalda mag ich auch sehr, habe schon ein paar ihrer bücher gelesen. barreau aber kenn ich nicht. klingt interessant.
    habe grad einen londoner krimi in der mache …

    ja, 8 std. sind lang. das braucht nerven.
    ich hoffe, du bist gut angekommen in deinem alltagsumfeld?

    herzlich, soso

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    • pillangoblog sagt:

      aaah. dann lag das an meiner falsch gedachten Betonung. ich saß noch nie zwischen 2 rastamen. schade eigentlich.
      bin mehr oder weniger gut angekommen. der Alltag hat mich quasi am Tag 1 eingesaugt und seitdem nicht mehr ausgespuckt. liebe Grüße!

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