Impulse

Es gibt sie, die schlechten Gefühle. Mich haben sie gestern Abend übermannt. Langsam haben sie sich angeschlichen und einen schwachen Moment genutzt. Ich habe mich nicht groß gewehrt. Dafür war der Geist viel zu fahrig. Und schlechte Gefühle haben ja auch etwas Positives: sie sind mir vertraut. Die Zweifel und Ängste, die Hoffnungs- und Mutlosigkeit – in schwierigen Zeiten sind sie wie ein Anker, an dem ich mich festhalten kann. Ich habe mich ihnen voll hingegeben, bin eingetaucht in die wohlige Schwärze, habe darin die vertrauten Muster erkannt und mich darin eingewickelt.

Heute morgen bin ich aufgewacht, wie gerädert. In mir ein dumpfes Pochen, Nachwirkungen der schlechten Energien. Zu anderen Zeiten hätte ich diesem Pochen Aufmerksamkeit geschenkt, die negativen Schwingungen genährt, weil es einfach ist. Einfacher als in den wuchernden Schlingen der Angst nach einem Funken Liebe zu suchen. Doch heute mache ich es anders.

Ich löse mich aus der Umklammerung alter Muster und schütte Licht ins Dunkle. Dazu braucht es nicht viel. Nur einen kleinen Impuls. Etwas, das mich aus der Routine reisst. Heute ist es der Kaffee, den ich nicht wie gewöhnlich aus dem Kaffeeglas sondern aus der Herend-Porzellan-Tasse trinke. Ich liebe dieses feine Geschirr mit dem bunten Blumen- und Schmetterlingsmuster. Meine ungarische Großmutter hat es mir als vermeintliches Hochzeitsgeschenk übergeben obwohl eine Hochzeit weder geplant noch in naher Zukunft in Aussicht stand. Großmutter hatte Angst, sie würde zu meiner Eheschließung, sollte sie irgendwann stattfinden, nicht mehr dabei sein, daher gab sie mir ihr Geschenk einfach vorher.

Ich spüre den feinen Schliff des Herends an meinen Lippen, den zerbrechlichen Henkel zwischen den Fingern, betrachte die filigranen Malereien. Da ist soviel Liebe, Respekt und Achtsamkeit spürbar, in diesem kleinen Stück Porzellan. Es rührt mich. Bringt dieses kleine Licht in mir zum flackern, nach dem ich nicht suchen wollte. Schickt ein Lächeln auf meine Lippen, ein kleiner Impuls..

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16 Gedanken zu „Impulse

  1. Wie Du diesen Zustand, dieses Erleben beschreibst und beschreiben kannst … das gefällt mir sehr!
    mb

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  2. miriamsamara sagt:

    Eine Geschichte, die davon erzählt Kontrolle über seine Gefühle zu erlangen, eine sehr schöne Geschichte. Danke!
    Und die Tasse ist wirklich sehr fein!

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    • pillangoblog sagt:

      Ja, die Kontrolle zurück erlangen. Die Gedanken und Gefühle können manchmal ganz schon ausufern und dann verliert man sich. Schön, dass es immer in beide Richtungen geht…;-) danke für deine Worte! P.S.: im Schrank ist ein ganzes „Kaffeeset“ an Schmetterlings-Porzellan mit Tassen, Tellern, Teekanne, irgendwann wird es einen schönen Platz in einer Holzvitrine bekommen…

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  3. scarlett sagt:

    Wirklich eine sehr schöne Geschichte. Meine slowakische Grossmutter hatte ebenfalls Herend Porzellantassen. Ich habe es geliebt, wie sie mir früher als Kind einen Kakao darin bereitete. Da war das Trinkgefühl gleich ein anderes. Danke, dass du mich daran erinnert hast.

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    • pillangoblog sagt:

      Das Herend ist wirklich sehr besonders, insbesondere wenn ein Stück Familiengeschichte daran hängt 😉 wie schön, dass du damit auch eine Geschichte verbindest. Kakao aus diesen Tassen schmeckt bestimmt wunderbar!

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  4. Sofasophia sagt:

    du hast einfach eine ganz feine, berührende art, stimmungen (auch schwarze) in worte zu kleiden. und dieses stück porzellan – ich spüre es förmlich an meinen lippen.

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  5. Sherry sagt:

    Es ist wirklich so. Wenn man will, ist der erste Weg zur Besserung tatsächlich die Erkenntnis. Übrigens muss man ein „falsches automatisches Verhalten oder Denken“ ca. 6-8 Wochen immer wieder unterdrücken und durch ein anderes ersetzen, bis es zu einem neuen „Habit“ wird. Bleib‘ hartnäckig gegen die alten Muster, und du wirst langfristig gewinnen.

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    • pillangoblog sagt:

      6-8 Wochen? Sherry, das ist ja fast überschaubar. Irgendwie dachte ich immer, ein Verhalten, über Jahre gelernt, wird man nur in jahrelangem Dagegenarbeiten wieder los. Das macht Hoffnung. Danke!

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      • Sherry sagt:

        Wenn du immer wieder locker lässt und schwach wirst [und das ist die Regel] dauert es länger, aber immer noch überschaubar, wenn man bedenkt, wie sehr man damit seine Lebensqualität verändern kann. Aber wenn du dich ganz darauf konzentrieren kannst, dann 8 Wochen [wenn auch mindestens!] …

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  6. Klausbernd sagt:

    Eine sehr gelungene sinnliche Beschreibung – vielen Dank!

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  7. mika sagt:

    Ich freue mich sehr, dass du die Tür gefunden hast, die wieder hinausführt…und hast es so anrührend beschrieben. Die Liebe entdecken. Das Liebevolle am Dasein. Die Liebe einer Großmutter über die Zeit hinaus, abgelesen an einer Tasse, an der Geste des Schenkens. Die Aufmerksamkeit entdecken, die einer Tasse beim Bemalen geschenkt wurde. Sich an den Farben freuen und an den Mustern.
    Ja, du sagst es: man muss die Anker austauschen. Das gelingt meist nicht so schnell. Wichtig ist nur, dass man den Weg kennt und im Auge behält! Und bei jeder Gelegenheit übt. 😉 Dabei viel Freude!

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    • pillangoblog sagt:

      Danke fürs kommentieren, mitfühlen und motivieren. Ja, einen neuen Anker setzen. wie Sherry schon sagte, scheint das intensives Training zu erfordern. Schön, wenn man sich dabei an kleinen Dingen festhalten kann, und wenn es Großmutters Porzellan ist 😉

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