Ich schleiche durch die Kinder- und Jugendbibliothek. Fühle mich wie ein Eindringling. Schließlich bin ich kein Kind mehr. Gleich wird es jemandem auffallen. Einem Knirps, der mich lautstark als Erwachsenen identifiziert und mich dann grinsend an einen dieser Bibliotheksdrachen ausliefert. Greife wahllos zwei Jugendbücher aus dem Regal: Kinder der Gezeiten und Das Nargun und die Sterne und versuche mir ein Alibi zurechtzulegen. Entweder: Tante auf der Suche nach Fantasybuch für Nichte oder: Schriftstellerin auf Recherche zu Kinderbuch oder einfach nur die Wahrheit: Bei den Erwachsenen gucken alle so ernst.
An einem Lesetisch sitzt ein Mädchen-Teeny, mit einer Hand blättert es in der Mädchen, mit der anderen verschickt es ziemlich viele Zeichen und nimmt gleichzeitig Telefongespräche an. In meinem Kopf Bilder: Ich als 13jährige mit Freundin, sie die Bravo, ich die Mädchen, wir uns gegenseitig vorlesend, kichernd – wir uns gegenseitig Fotos zeigend, immer noch kichernd, aber neidisch.
Am Zeitschriftenregal bleibe ich dann selbst an der „Mädchen“ hängen. Meine Hand will danach greifen, doch mein Verstand sagt: NEIN. Welches Alibi gäbe es bitte dafür? Ich zwinge mich, weiter zu laufen und verstecke mich dann in dem Teil der Bibliothek, der am wenigsten frequentiert wird: die WAS-IST-WAS Ausstellung. Anscheinend interessieren sich in Berlin Mitte die Kinder nicht dafür was was ist – dafür lautes Geschrei und Comic-Lärm (WUMMS, KRACH, RASSEL) aus der Videospiel-Ecke.
Die nächste Stunde verbringe ich auf einer blauen Holzbank im Atrium eingeschlossen von Papp-Aufstellern, Ansichtsexemplaren und Plakaten, die Kindern die Welt erklären wollen. (Woraus besteht Sauerstoff??) Während sich das NARGUN von Wrightson durch tiefe Schluchten kämpft (ich habe keinen blassen Schimmer, was es damit auf sich hat, werde das Buch auf jeden Fall lesen müssen), schweift mein Blick durch den Raum. In einer Ecke neben dem Regal zur „Schönen Literatur“ baumelt an einem Heizungsrohr aufgeknüpft eine Pippi-Langstrumpf-Puppe.